Das schwierigste Schuljahr in der Geschichte der Escuela CFF

Am 11. März 2020 stufte die WHO die Ausbreitung des Coronavirus als Pandemie ein. Honduras zählt zu jenen Ländern, die schnell und einschneidend auf diese Einstufung reagiert haben. Am 14. März verhängte das Land eine komplette Ausgangssperre, die als einzige Ausnahme den Besuch von Krankenhäusern und Apotheken vorsah. Für die Escuela Lyoness bedeutete das, dass der gesamte Unterricht binnen kürzester Zeit auf Homeschooling umgestellt werden musste. Zum Start des neuen Schuljahres am 01. März haben wir uns virtuell mit unserer Projektmitarbeiterin vor Ort, Barbara Sickenberger getroffen, um mit ihr gemeinsam über die letzten zwölf Monate zu sprechen.

Barbara, die Escuela Lyoness hat ein schwieriges Schuljahr hinter sich. Was waren die größten Herausforderungen, mit denen ihr zu kämpfen hattet?

Die plötzliche Umstellung auf Distance Learning stellte Lehrer überall auf der Welt vor große Herausforderungen. In einem Entwicklungsland wie Honduras sind die Hürden, die es da plötzlich zu überwinden gibt, aber noch sehr viel höher, als es zum Beispiel in den meisten europäischen Ländern der Fall ist. Ein großer Teil unserer Schüler stammt aus sehr armen Verhältnissen und hat zu Hause keinen Zugang zum Internet. Für sie ist die Anwesenheit an der Schule die einzige Möglichkeit, am Unterricht teilzunehmen. Als es dann plötzlich hieß, wir müssen die Schule schließen und auf Fernunterricht umstellen, standen wir vor einer unüberwindbar scheinenden Hürde. Denn gleichzeitig wurde ja auch die Ausgangssperre verhängt und niemand durfte seine Wohnung verlassen. Wie sollten wir unsere Schüler unterrichten, wenn es keine Möglichkeit gab, sie zu erreichen?

 

Wurde angedacht, dass die Eltern ihre Kinder selbst unterrichteten?

Ganz ehrlich? Das war von Anfang an keine Option, nein. Ein großer Teil unserer Schüler stammt aus den umliegenden Armenvierteln von La Ceiba. Ihre Eltern haben oft selbst nie eine Schule besucht und in einigen Familien sind unsere Schüler sogar die einzigen, die lesen und schreiben können. Die Schulbildung, die sie an der Escuela Lyoness erhalten, ist für viele der einzige Weg raus aus der Armutsfalle, in der ihre Familien oft schon seit Generationen gefangen sind. Man merkt deutlich, dass das selbst den jüngsten unter ihnen bewusst ist, denn der Arbeitseifer, den diese Kinder an den Tag legen, ist außergewöhnlich. Natürlich gibt es auch Eltern, die sehr wohl in der Lage sind, ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen, aber auch von ihnen kann nicht verlangt werden, dass sie den Unterricht völlig übernehmen. Das Hauptproblem war und ist noch heute, dass so viele Kinder zu Hause einfach keine Möglichkeit haben, das Internet zu nutzen.

 

Wie sind die Lehrer mit dieser herausfordernden Situation umgegangen?

Nachdem der erste Schock vorbei war, fanden unsere Lehrer individuelle Lösungen, um jedes Kind zu erreichen. Die wenigsten unserer Schüler haben Zugang zu einem Computer, aber zumindest gibt es bei einem Teil von ihnen die Möglichkeit, sie zu Hause via Smartphone oder zumindest via Telefon zu unterrichten. Die Lehrer verbrachten Stunden auf WhatsApp oder in Telefongesprächen, um Fragen zu beantworten, neuen Stoff zu erklären oder um mit den Eltern zu sprechen. Das größte Problem stellt es dar, jene 40 Prozent unserer Schülerschaft zu erreichen, in deren Familien keine dieser Möglichkeiten vorhanden ist. Sie völlig vom Unterricht auszuschließen kam für unsere Lehrer nicht in Frage und deshalb beschlossen sie, das Risiko einer Strafe in Kauf zu nehmen und diesen Kindern den Lehrstoff sowie Arbeitsmaterialien dazu in ausgedruckter Form trotz des totalen Ausgangsverbots nach Hause zu bringen. Sie arbeiteten in den vergangenen Monaten beinahe rund um die Uhr, um jeden Schüler zu erreichen und Methoden zu entwickeln, um sie in dieser schwierigen Situation bestmöglich unterstützen zu können.

 

 

 

Wie sind die Schüler mit den Entwicklungen der letzten Monate zurechtgekommen?

Unsere Schüler haben sich angesichts dieser großen Herausforderungen unglaublich gut geschlagen. Wie bereits erwähnt, stammen die meisten von ihnen aus sehr armen Familien. Für sie ist diese Zeit besonders schwer. Zur Angst vor dem Virus kommt bei vielen noch dazu, dass ihre Eltern als Folge der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus ihre Arbeit verloren haben. Manche Familien hatten schon nach kurzer Zeit nicht mehr genügend Geld, um regelmäßig Essen auf den Tisch bringen zu können. Wieder andere konnten die Mieten für ihre Wohnungen nicht mehr bezahlen und wurden so mitten in der Pandemie obdachlos und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als bei Freunden und Verwandten einzuziehen. Aber auch für jene Kinder, deren Familien ihre Grundbedürfnisse weiter decken konnten, bedeutete der Lockdown meist, dass viel zu viele Menschen über Wochen in kleinen Wohnungen eingesperrt waren und es kaum Ruhe zum Lernen gab. Dazu kommt, dass jene Schüler ohne Internetzugang sich wie bereits gesagt einen großen Teil vom Lernstoff selbst erarbeiten mussten. Und dennoch, trotz dieser Widrigkeiten, haben es all unsere Schüler geschafft, das Schuljahr positiv abzuschließen! Ein unglaublicher Erfolg!

 

Was würde die Schule dringend brauchen, um die Schüler im neuen Schuljahr bestmöglich unterstützen zu können?

Wie ich bereits erwähnt habe, gibt es leider viele Schüler, die zu Hause keinen Internetzugang haben. Sie erhalten zwar den Lernstoff in ausgedruckter Form, müssen ihn sich dann aber selbst aneignen. Unsere Schützlinge haben bereits mit so vielen Herausforderungen in ihren jungen Leben zu kämpfen, sich den Unterrichtsstoff selbst beibringen zu müssen, sollte keine davon sein. Sie haben es zwar im vergangenen Schuljahr alle mit Bravour geschafft, aber Kinder brauchen auf Dauer einfach einen richtigen Unterricht und die regelmäßige Kommunikation mit ihren Lehrern. Deshalb möchte die Schule für all diese Schüler Smartphones anschaffen, damit sie von zu Hause aus am Online-Unterricht teilnehmen können. Aber im Moment fehlt leider einfach das Geld, um diesen notwendigen Schritt umzusetzen.

 

Wird die Schule in dieser schwierigen Situation vom Staat unterstützt?

Wir haben am Anfang dieser Krise gehofft, dass wir staatliche Unterstützung erhalten würden, aber diese Hoffnung wurde leider enttäuscht. Dass wir die Ressourcen hatten, unsere Schüler im vergangenen Jahr zu unterrichten, verdanken wir ausschließlich jenen Menschen, die über die Child and Family Foundation für die Escuela Lyoness gespendet haben. Ohne diese Unterstützung hätten wir nicht einmal die Schäden am Schulgebäude reparieren können, die durch die starken Unwetter Ende des Jahres entstanden sind. Es ist schwer in Worte zu fassen wie dankbar die Menschen hier den vielen Spenderinnen und Spendern sind, die sie in dieser schwierigen Zeit unterstützten.

 

Ist schon abschätzbar, ab wann der Präsenzunterricht wieder stattfinden kann?
Wir sind gerade dabei, im Rahmen eines Pilotprojektes eine vorsichtige Öffnung der Schule auf Basis eines Rotationssystems zu planen. Dabei werden die Schüler in Zehnergruppen aufgeteilt und können so wenigstens zwischendurch wieder persönlich unterrichtet werden. Natürlich wird es strengste Sicherheits- und Hygienevorschriften geben, an die sich alle halten müssen.

 

Barbara, Honduras

Barbara Sickenberger, Projektdirektorin